Die Kegelrobbe
(November 2005)
Auf der Düne in Helgoland kommt man ihnen so nahe wie nirgendwo anders: bis auf 30 m habe ich mich ihnen genähert und nun gewähren sie mir einen großartigen Einblick in ihr Privatleben. Wahrscheinlich könnte ich mich ihnen noch deutlich mehr annähern, ohne dass sie flüchten würden. Längst wissen die Kegelrobben nämlich, dass ihnen keine Gefahr mehr vom Menschen droht. Das war nicht immer so, denn lange waren Kegelrobben eine begehrte Beute des Menschen. Auch heute werden sie z.B. in Norwegen noch gejagt. Hier aber genießen sie Schutz und der ist auch nötig, denn nur etwa 1300 Tiere leben im niederländischen, dänischen und deutschen Wattenmeer. Der Weltbestand dieser Tiere beläuft sich auf 230.000 Exemplare und verteilt sich auf drei Populationen an den Küsten des Nordatlantiks und an der Ostsee. Seit 1971 werden Kegelrobben nicht mehr bejagt. 35 bis 40 Jahre können die Tiere alt werden. Es ist also eine Generation herangewachsen, die nicht mehr weiß, was ein Gewehrschuss bedeutet und die Jagdbedrohung nicht kennt. Während der beiden Staupe - Epidemien, die in den letzten Jahrzehnten auftraten, sind überwiegend alte Tiere verendet. Es gibt also wirklich keine Tiere mehr, die die Bedeutung der Jagd kennen und selbst erlebt haben.
Noch näher will ich auch gar nicht an die riesigen Tiere heran. Ein gewisser Abstand zwischen Wildtieren und den Menschen muss gewahrt werden und ich will natürlich auch die Schilder respektieren, die hier aufgestellt sind und einen Mindestabstand von 30 m einfordern. Das Bewusstsein Kegelrobben und auch Seehunde, die hier ebenfalls auf der Düne liegen, zu schützen, ist auf Helgoland stark ausgeprägt. Nicht nur Einheimische, auch die vielen Feriengäste weisen dann auch schon mal andere darauf hin, dass sie den nötigen Abstand zu den Tieren einhalten sollten. Jetzt im November sind natürlich weniger Besucher auf der Düne, nur an so schönen Tagen wie heute zu Allerheiligen, lassen sich noch Touristen mit dem Boot zur Düne bringen. Abstand möchte ich aber auch aus anderen Gründen halten. Wenn die Kegelrobben ihr Maul aufreißen, wird deutlich, dass sie zu den Raubtieren gehören, ihr Gebiss ist zum Fürchten. Und zweieinhalb Meter lang sind die kräftigsten Bullen bei einem Gewicht von 250 kg! Die Weibchen wirken im Vergleich zu den Männchen zwar recht zart, bringen aber auch noch rund 150 kg Körpergewicht auf die Waage und werden 2 m lang. Einen noch näheren Kontakt zu ihnen wünsche ich mir da gar nicht! Zwar essen die riesigen Säugetiere nur Fisch, aber darauf vertrauen muss man ja auch nicht. Recht aggressiv sollen Kegelrobben werden können. Robbenjäger sind von ihnen schon angefallen worden – wobei sich mein Mitleid mit den Robbenjägern etwas in Grenzen hält. Ich bin nahe genug an den Robben, um zu erkennen, dass sie keine äußeren Ohren haben; aber ihre Ohrenansätze sind noch gut zu erkennen. Durch Muskelanspannung können die Robben ihre Ohren beim Tauchen ganz verschließen.
Ein Vorteil, wenn es bis zu Tiefen von 300 m herab geht. Kegelrobben hören ganz ausgezeichnet und können auch exakt die Richtung eines Geräusches erkennen. Ich sehe auch wie unbeholfen sie sich an Land bewegen, können sie doch ihre hinteren Gliedmaßen, die zu Flossen umgewandelt sind, nicht mehr unter den Körper bewegen. Die Augen der Robben wirken nass und stumpf und tatsächlich ist die Hornhaut so entwickelt, dass die Kolosse nur unter Wasser gut sehen können, wenn sie auf der Jagd nach Dorsch, Hering oder Plattfisch sind. Um satt zu werden brauchen sie täglich 6 kg von ihnen und bis zu 12 kg fressen besonders stattlich Kegelrobben-Bullen an einem Tag. Nur gut, dass um Helgoland herum die Fischgründe noch ergiebig sind. Klar wird mir auch, wie die Kegelrobben zu ihrem Namen kamen, denn die Schnauzen der Tieren sind kegelartig. Auffällig auch, dass es zwei Farbtypen bei den Kegelrobben gibt: den helleren und den dunkleren Farbtyp. Bei den Männchen ist die Zeichnung heller als das Fell, bei den Weibchen ist sie dunkler- es entsteht der Eindruck, dass Männchen dunkler, Weibchen heller sind.. Das Fell selbst wärmt nicht einmal besonders gut, aber dafür haben die Tiere alle eine dicke Speckschicht und die schützt ganz ausgezeichnet vor Kälte. Genug der analytischen Betrachtung, jetzt erfreue ich mich einfach an den Spielen der Kegelrobben. Ein Kegelrobbenbulle kann bis zu sieben Kühe haben, doch im Moment kümmert sich jeder Bulle immer nur um ein Weibchen als sei es sein einziges. Fast menschlich wirken die Meeressäuger. Zärtlich berühren sie sich und streicheln sich mit ihren Flossen. Sie tauchen abwechselnd untereinander hinweg, um direkt wieder aufzutauchen und den Körperkontakt zu suchen. Sie berühren sich mit den Schnauzen, scheinen sich zu mögen und die Welt um sich herum zu vergessen.
Die Jungen werden im Winter geboren. Gelegentlich werden dann auch schon mal Strandabschnitte gesperrt, denn ungestörte und hochwasserfreie Ruheplätze wie hier auf der Düne sind für die
Jungen überlebensnotwendig. Zwar können junge Kegelrobben von Geburt an schwimmen, sie meiden aber die winterlich kalte Nordsee in den ersten Lebenswochen. Das weiße Babyfell könnte sich mit
Wasser voll saugen und würden die Tiere nicht genug vor Kälte schützen. Durch die Sperrung der Strandabschnitte ist gewährleistet, dass auch der Mensch die jungen Robben nicht unnötig stört
und zur Flucht ins Wasser treibt. Deshalb werden Kegelrobbenbabies auch nur äußerst selten in Seehundauffangstationen eingeliefert. Die jüngsten Kegelrobben hier sind schon zu stattlicher
Größe herangewachsen, erwachsen sind sie aber noch lange nicht. Mit 4-7 Jahren werden sie geschlechtsreif und voll ausgewachsen sind sie erst mit zehn Jahren. Bis dahin hoffe ich sie noch ein
paar Mal besuchen zu können!