(Mai 2004)
„Der untrüglichste Gradmesser für die Herzensbildung eines Volkes und eines Menschen ist,
wie sie Tiere betrachten und behandeln“.
(Berthold Auerbach)
Das Haushuhn ist mit weitem Abstand die häufigste Vogelart der Welt. 20 Milliarden Haushühner bevölkern unsere Erde. Das spricht aber keineswegs für eine menschliche Wertschätzung des Huhnes. Denn heute sind an die Stelle der Hühner auf dem Bauernhof die Batterie- und Käfighühner getreten. Mindestens vier von fünf Eiern, die derzeit konsumiert werden, stammen aus riesigen fabrikähnlichen Anlagen und kommen längst nicht mehr vom Bauernhof wie man ihn sich früher vorstellte. Macht man sich bewusst, dass nach EG-Bestimmungen pro Henne 450 Quadratzentimeter verlangt werden und dass diese 450 Quadratzentimeter in etwa einer Fläche von zwei Drittel eines DIN A 4 Blattes entspricht, dann weiß man, dass derartige Hühnerhaltung tierquälerisch ist und die Bedürfnisse der Hühner missachtet. Da ist es erfreulich, dass die Verbraucherministerin Renate Künast eine neue deutsche Hennenhaltungsverordnung vorlegen will. Eine Käfighaltung von Hennen- in der Schweiz schon seit 1992 verboten ist - wird aber erst ab 2012 europaweit verboten. Neue herkömmliche Käfiganlagen sollen ab sofort nicht mehr erlaubt sein und "Ausgestaltete Käfige" (kleine Gruppenkäfige) dürfen dann hier zu Lande auch dann nicht mehr neu errichtet werden, wenn sie Legenest, Sitzstangen und Einstreu enthalten. Vorhandene herkömmliche Anlagen müssen dann eine Mindestfläche von 550 (bisher 450) qcm pro Tier und Krallenabriebflächen haben. Ein Anfang- aber viel zu wenig, wenn man an die bedauernswerten Tiere denkt.
Den Hühnern und ihren Bedürfnissen können wir, da wir ein entsprechend großes Grundstück haben, noch weitgehend gerecht werden. Die Tiere haben einen Stall, der sie vor Regen und Schnee, Sturm und anderen Wetterkapriolen schützt. Ihr Auslauf ist fast unbegrenzt, doch halten sich die Tiere, aus welchem Grund auch immer, in etwa an die Grundstücksgrenzen. Mit frischem Grün versorgen sich die Hühner von der Wiese; nicht nur Regenwürmer, auch alles was herumfliegt und zu nahe an den Schnabel kommt, wird als Leckerbissen betrachtet. Selbst schleimige Schnecken werden nicht verschmäht und Gehäuseschnecken im Ganzen verschluckt. Die Suche nach Essbarem füllt einen großen Teil des Hühnertages aus- obwohl natürlich immer Körner für das Federvieh zur Verfügung stehen. Das viele Herumrennen macht die Hühner müde, sie legen immer wieder kürzere oder längere Ruhephasen ein, morgens gerne in der Sonne, nachmittags verweilen sie- zu mindestens in der wärmeren Jahreszeit- lieber im Schatten unter den Sträuchern. Doch taucht jemand auf, wohlmöglich mit Essensresten, sind alle sofort da- man kriegt halt nie genug! Gefiederpflege wird bei Hühnern wie bei allen Vögeln groß geschrieben, das tägliche Sandbad ist wichtig und verhindert Milben- und anderen Parasitenbefall. Die Hähne dürfen noch krähen, wann und wie sie wollen, ein Nachbarschaftsstreit wird deshalb nicht entfacht. Die Hähne halten ihre kleinen Herden zusammen, finden sie was Schmackhaftes, wird der Fund wie selbstverständlich den Damen überlassen. Immer sind sie auf der Hut: ein Habicht könnte auftauchen oder ein Fuchs sich nähern. Der segelnde Bussard wird ebenso als harmlos betrachtet wie der rüttelnde Falke- aber beim Sperber und vor allem beim Habicht bricht Panik aus und der schöne Hühnerfrieden ist für kurze Zeit dahin. Bei so viel Fürsorge für die Seinen schaut das Hühnervolk wohlwollend über die Polygamie ihres Chefs hinweg. Zehn Hennen möchte ein Hahn schon haben und die Hühner akzeptieren es, wer weiß weshalb. Ihre Eier legen die meisten Hennen in den bereitstehenden Nestern aus Heu, doch bisweilen verstecken manche sie auch. Dann ist die Überraschung groß, wenn nach dreiwöchiger Brutdauer Glucken mit Küken auftauchen. Jeden Tag müssen die Eier eingesammelt werden, zu groß ist die Lust aller Hühner besonders jetzt im Mai zu brüten und zu glucken. Ungeheuren Spaß macht es, den Hühnern und Hähnen bei ihrem Treiben zuzuschauen – das ist wie ein Ausflug in die Vergangenheit, ins Großelternland. Klar, dass wir keine Käfigeier mehr essen, sie schmecken uns nicht. Wir haben ja auch viel bessere! Unsere Kuchen sind goldgelb und schmackhaft.
Mitleid mit Thieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, dass man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Thiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein. (Arthur Schopenhauer)